Darf ich Humor in jeder Situation benutzen?

Natürlich. Mit Humor kann man beispielsweise Verstorbene durch Anekdoten ehren oder kann in schwierigen, auch therapeutischen Situationen zur Entspannung beitragen. Doch den Moment zu erkennen und den passenden Humor anzuwenden, ist nicht einfach. Wir leben in einer Zeit, in der es oft schwierig ist, unterschiedliche Standpunkte auszuhalten. Es gibt Gruppen mit Identitäten, die noch nicht über ein gefestigtes Selbstvertrauen verfügen. Eine Hypersensibilisierung und das Aussprechen von Triggerwarnungen führt zu Verunsicherung bei vielen Menschen, die gerne achtsam sein wollen und sich doch vor dem scharfen Schwert der Verurteilung fürchten. Statt einer riskanten aber humorvollen Äußerung wählen sie lieber einen Satz, der nicht aneckt und der auf keinen Fall Konflikte heraufbeschwört. In solchen Situationen gilt es, den Humor feinfühlig anzupassen.

Zwischen einem vorsichtig formulierten und einem humorvollen Satz gibt es viele Graustufen, die man ansteuern kann, um die verbindende Wirkung von Humor zu entfalten. Es braucht eine Haltung, die beständig auf der Suche ist, humorvolle Äußerungen auszuprobieren.

Ob es sich um religiöse, geschlechterspezifische oder andere Gruppenidentitäten handelt: Hier zeigt sich, wie tolerant und frei oder intolerant eine Gruppe gegenüber bestimmten humoristischen Äußerungen ist. Diktaturen haben immer wieder gezeigt, dass der Humor sehr feinsinnig und symbolhaft wird, wenn es um die Kritik an Systemen geht. Aggressiver oder plumper Humor dagegen führt zu offener Konfrontation. Spontaneität in wenig ambiguitätstoleranten Umgebungen kann sehr gefährlich werden. Die Unfreiheit zeigt sich in der Verwendung eigener innerer Filter: Spontaneität wird so eingeübt, dass nur noch das Unverfängliche seinen Weg nach außen findet. Dies bestätigt dann die tonangebende Gruppe. Sie fühlt sich zunehmend im Recht. Gleichzeitig wird außerhalb ihrer Grenzen über sie gelacht, um eine andersartige Haltung zur Geltung kommen zu lassen.

Innerhalb unseres Landes ist Humor zum Glück geschützt, denn er verletzt niemandes Würde. Doch innerhalb unserer Gesellschaft gibt es viele unterschiedliche Grenzen des Humors. Daher birgt es doch Trost, wenn wir für uns festhalten können, dass selbst in der unfreiesten Umgebung als Ausgangs- und Trainingspunkt für Humor der Gedanke frei ist. Unser Denken serviert uns ständig Impulse, die zu irgendeinem neuen Gedanken anregen. Zumeist spielen sich diese Impulse im Inneren ab und wir können wählen, was schließlich nach außen dringt. Wir müssen also immer wieder mit uns selbst klären, in welchen graduellen Abstufungen wir Humor anwenden oder ob wir ihn aus Angst unterdrücken.