Innovation ist 10 % Inspiration und 90 % Transpiration.

von Dr. Axel Klopprogge

Aber dennoch muss es einen Ort geben, an dem die neuen Ideen entstehen und eine solche Reife und Gestalt annehmen, dass die Fleißarbeit einen Pack-an findet. Vieles, was über diesen Prozess der Entstehung und Reifung von Ideen gesagt und angeboten wird, befriedigt mich nicht. Auf der einen Seite herrscht die mechanistische Vorstellung, alles sei eigentlich schon da und man bräuchte den Erfolg nur herbeianalysieren. Auf der anderen Seite trifft man auf eine romantische Mystifizierung des kreativen Prozesses, die einem in der Praxis auch wenig nutzt.

Ich kenne kein Verfahren, von dem man für die Gestaltung und das Handwerkszeug eines kreativen und gestalterischen Prozesses so viel lernen kann wie vom Improvisationstheater. Man meint ja zunächst, dass das Wesentliche am Improtheater die spontane Kreativität, Schlagfertigkeit und Witzigkeit sei. Auch das gehört gewiss dazu, aber noch entscheidender ist der empathische Ringkampf zwischen den Schauspielern untereinander und natürlich auch zwischen Schauspielern und Publikum. Es gibt kein Drehbuch wie beim normalen Theaterstück, sondern man muss ständig eingehen auf das, was der andere anbietet, und doch gleichzeitig verhindern, dass man einfach darin aufgeht. Denn wenn man sich dem Mitspieler einfach „hingäbe“, wäre ein interessantes Spiel genauso unmöglich wie wenn man sich ständig dagegen wehrte oder die Angebote gar nicht bemerkte. Wenn alles an der Schlagfertigkeit, Witzigkeit und überbordenden Kreativität hinge, wären die Schauspieler nach zwei Wochen total ausgelaugt und ständig in Gefahr, eine Karikatur und Imitation der eigenen Schlagfertigkeit und Witzigkeit aufzuführen. Wenn sich dagegen A und B aufeinander einlassen, ohne die Spannung aufzulösen, dann kommt fast zwangsläufig C heraus – ein neuer Gedanke, eine neue Sichtweise, ein neuer Reifegrad der Idee.

Das dazu notwendige Verhalten steht in einem starken Gegensatz zur üblichen Workshop- und Besprechungskultur in Unternehmen. Genau deshalb können gestalterisch arbeitende Fach- und Führungskräfte vom Improtheater so viel lernen. Natürlich lernt man im Improtheater auch etwas über den Mut und die Lust an der Kreativität.

Viel wichtiger ist aber, dass der empathische Ringkampf, der auf der Bühne stattfindet, in ernsthaftester und direktester Weise in das Herz von kreativen und gestalterischen Prozessen führt: Die Bühne ist leer und es gibt keine Texte, allerdings ein erwartungsvolles Publikum. Man kann sich nicht hinter einem Moderator, nicht hinter schicker Architektur, nicht hinter einem originellen Workshop-Design verstecken. So seltsam das klingt: Auf der Bühne kann man nicht schauspielern. Auf der Bühne kann man keine Politik machen. Man kann weder schweigen noch den anderen totreden. Man kann nicht durch altkluge Kommentare oder Fragen die Substanz der eigenen Beiträge ersetzen. Man kann auch nicht durch ständiges Telefonieren oder Zuspätkommen seine Wichtigkeit demonstrieren.

Auf der Bühne muss man zu hundert Prozent präsent sein. Man muss persönlich und ungeschminkt inhaltliche Verantwortung übernehmen – für sich und für das Gelingen des Ganzen. Jenseits der allgegenwärtigen Slogans von Werbeagenturen und Change-Beratern gilt: Das vom Improtheater verkörperte Handwerk des empathischen Ringkampfes zu beherrschen, ist ein wirklicher Beitrag zu einer Innovationskultur.


Axel Klopprogge spezialisierte sich schon in Studium und Promotion auf Wissenschafts- und Technikgeschichte. Er hatte Top Management Positionen in internationalen Technologiekonzernen. Mit der von ihm gegründeten Unternehmensberatung „Strategy for People“ begleitet er Innovationsprozesse und die Markteinführung junger Unternehmen. Demnächst erscheint sein Buch „Die Welt ist noch nicht fertig“, das auch ein ausführliches Gespräch mit Karin Krug enthalten wird. Axel Klopprogge ist überzeugt, dass das Improtheater viel mehr beinhaltet als eines der üblichen Kreativitätsspiele.